Countdown: Die Zielgrade (Seite 73-75)
Noch vier harte Wochen bis zum Ziel! Was denkst du in dieser Zeit?
Km 17 eines kleinen regionalen 21,1-km-rennens. Es ist kalt, nur mühsam lässt sich der Frühling erahnen. Dankbar nimmt das Feld der Läufer die Strahlen der noch niedrig stehenden Sonne an. Im Sommer gehasst, streichelt sie nun die müden und steifen Muskeln der Wettkämpfer. Eine Gruppe von vier Läufern strebt dem Zielstrich entgegen. Rhythmisch tupfen acht Füße auf den Asphalt. Einer der Sportler hat Schwierigkeiten. Seine Miene drückt Besorgnis, Verzweiflung, aber auch Kampfeswillen aus. Er kann den Anschluss nicht halten. Er fühlt das berühmte Gummiband im Rücken, welches angeblich ja jeder Läufer am Start an der Hose befestigt bekommt, wobei das andere Ende sicher und unablösbar im Startraum angebunden bleibt. Es ist ja schließlich allen seriösen Langstrecklern bekannt, dass bei einigen Leidensgenossen der Zug so stark wird, dass er am Ende überhandnimmt und sie das Rennen aufgeben müssen. Diese Sorge hat unser wettkämpfender Freund auch, er fühlt dieses Gummi in seiner ganzen Effektivität.
Waren die Einheiten zu schnell?
Er macht seinem Herzen mit einem Fluch Luft. Körper und Kopf des Athleten sind in Aufruhr, krampfhaft sucht er nach Mitteln, Anschluss zu halten. "Immer hab ich den Holger im Griff gehabt und jetzt hat er schon 30 m Vorsprung. Hätte ich doch bloß nicht diesen blöden Trainingsplan durchgezogen. Ich wusste es ja, viel zu hart, das kann ja kein Mensch aushalten. Diese 4 x 2.000 m am Mittwoch, das war es, die ersten waren viel zu schnell und beim letzten Tempostück sind mir fast die Muskeln geplatzt." Unser Freund spuckt aus, wischt sich mit der flachen Hand durchs Gesicht und zischt das berühmte Wort mit S durch die Zähne. "An der Wende habe ich noch gedacht, du packst sie alle, aber immer wenn ich gezogen habe, ging die ganze Truppe locker mit und jetzt kann ich das Tempo nicht mehr halten. Holger hat sich ja gleich vor den Kopf getickt, als ich ihm von meinem neuen Trainingsplan erzählt habe. Er hat seinen alten Stiefel durchgezogen und ist jetzt in Topform. Wenn ich denke, wie er im Ziel wieder grinst und mir die Hand väterlich um die Schultern legt, dann könnte ich verrückt werden. Aber so stark können die doch nicht sein, der Abstand ist zumindest nicht größer geworden, du versuchst es nochmal!"
Meter um Meter verringert sich der Abstand zu den drei Führenden. Die letzten 10 m fliegt unser Freund geradezu in die Gruppe der drei. "Mann, die latschen ja nur noch, wenn ich jetzt aufs Tempo drücke, bin ich weg. Es geht! Nicht nachlassen! Mensch, du packst es! Gleich hast du sie im Sack! Du kannst dich trennen." Die Arme etwas höher gezogen, die Schultermuskulatur angespannt, die Frequenz der Beine nicht erhöht, aber mit einem längeren, kraftvolleren Schritt legt unser Mann eine Spanne von 100 m zwischen sich und seine Verfolger. Nun aber wird sein Atem wieder unruhig, er stöhnt, winzige Rhytmusfehler schleichen sich ein. Er läuft nicht mehr auf der Ideallinie. "Aua, das war zu viel, deine Beine sind wie ab, noch hast du 50 m. Einer kommt näher, schneller, archch, es geht nichts mehr, ich komme gar nicht mehr ans Ziel, noch 2 km. Noch hab ich 20 m, er muss auch kaputt sein, bestimmt ist es Holger, er muss es sein. Im letzten Training war er auch stärker, aber ich bin schneller, kann kontern. Mist, er ist da, läuft neben mir, sieht mich an, er hat es wieder drauf, dieses überlegene Grinsen, es bringt mich noch um."
Mann, bin ich fertig...
"Mann, bin ich fertig, wo ist das Ziel? Noch 500 m. Die anderen sind in sicherer Entfernung. Holger ist weg und siegt. Wenn ich über die Linie laufe, sehe ich ihn erst garnicht an. Dieses Grinsen verursacht in mir immer einen Krampf und stinkt mir unheimlich."
Tröste dich!
Nach dem harten Programm war keine Bestleistung zu erwarten.
Ist es dir bei deinem Halbmarathontest ebenso ergangen? Oder lief es einigermaßen? Manchmal läuft man in der Mitte der Vorbereitung wie ein Hase und ein anderes mal wie Tante Gerlinde am Rollator. Das ist teilweise nicht sehr erfrischend, aber durchaus normal. Es ist ein Anzeichen für ein stark gesteigertes Training, dass die Wettkampfkonstanz abnimmt. Nach diesem Programm gibt es meist nur Treppchen oder Hinweise auf eine gerade abgeklungene Erkältung. Vielleicht hast du dein Rennen ja auch noch vor dir. Vergiss nicht, dein Ziel ist der Marathon in vier Wochen und dieser Testwettkampf ist nur Mittel zum Zweck. Schlimmer wäre es, wenn du jetzt bereits in Höchstform wärst, dann wäre das Trainingsziel vier Wochen zu früh erreicht worden!
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Peter Greif