Countdown: Die Kraft der Psyche (Seite 121-125)

Drei Ziele musst du dir setzen

Damit du gar nicht erst in die Situation kommst, durch ungünstige Umstände das Ziel und die Motivation aus den Augen zu verlieren, rate ich dir, vorher in Ruhe drei hintereinander geordnete Ziele festzulegen. Kannst du das Höchste nicht erreichen, wählst du Ziel zwei. Ist auch dieses nicht im Rahmen der Möglichkeiten, bleibt dir immer noch die letzte Möglichkeit. 

Aus der Praxis: Ich erinnere mich an einen 25-km-Wettkampf, bei dem auf einem Teilstück der 5-km-Runde sehr starker Gegenwind herrschte. In diesem Bereich ließen mich die fünf in meiner Gruppe befindlichen Läufer ständig führen und verkrochen sich hinter meiner 195 cm Körperlänge. Zudem kamen wir bei jedem Durchgang an meinem Betreuer vorbei, der jedes Kal krähte: "Nicht führen, bleib hinten, raus aus dem Wind." Das war ja alles legitim. Ich mache es ja nicht anders, wenn es sein muss. Aber mich machte dieses Verhalten so gallig, dass ich mir geschworen habe, wenn es um die letzte Wende geht, dann läufst du alle so aus den Stiefeln, dass sie noch lange daran denken werden. Lieber, sagte ich zu mir, falle ich im Ziel um, als dass einer von diesen Burschen, die sich in deinem Windschatten ausruhen, vor dir ist. Ich brauchte mir um meine Motivation also keine Gedanken zu machen. Es hat auch geklappt, zwei Antritte waren nötig, dann hatte ich auch den Letzten abgeschüttelt. Aber eigentlich lief ich in diesem Bereich schon über meine Verhältnisse, nur meine nicht unterdrückte Aggressivität hat mir geholfen, hier erfolgreich zu sein.

Demoralisiere deine Gegner

Wenn du jetzt schon das kleine Abc der Selbstmotivation beherrschst, kommen wir jetzt zum großen Abc der Demotivation des Gegners. Das ist eine besonders angenehme, weil ohne innere Kämpfe ausfechtbare Aufgabe. Wie jeder von uns hast auch du deinen Spezialgegner, den schon zur Genüge bekannten Holger Meier. Seine Attribute: verschlagen, schnell, umtriebig, gerissen und unhöflich. Er ist da und du willst ihn besiegen. In deinem tiefen Inneren bist du davon überzeugt, dass, wenn er Ernst macht, du ihn Kraft deiner Beine nicht hindern kannst, dich zu schlagen. Und damit haben wir schon den Anhaltspunkt. Du musst unter allen Umständen verhindern, dass er Ernst macht.

Das große Abc der Demotivation

Du musst Holger dazu bringen, dass er nicht mehr an seine Leistungsfähigkeit glaubt und absolut davon überzeugt ist, dass er das größte Kameradenschwein auf Erden ist, (ist er ja in Wirklichkeit auch, ich kenne diese Type! (Anmerkung des Autors)), wenn er vor dir im Ziel ist. Du kannst dich in Demotivation habilitieren, wenn es dir gelingt, dass er im Rennen zur Verpflegungsstelle rennt, seinen Durst vergisst und dir einen Becher Wasser holt und dich fragt, ob es denn genug sei oder er noch einmal zurückrennen solle, um dir einen zweiten zu holen. Wenn dir das gelingen soll, dann musst du deine Taktik schon vor dem Betreten der Wettkampfstätte festlegen. Du gehst dann in dem folgenden, bewusst überzeichneten, etwas satirischen und damit nicht ganz ernst zu nehmenden Verfahren vor:

Schnellkurs im Demoralisieren

Beim ersten Anblick von Holger schaltest du deinerseits erst einmal jedes Imponiergehabe ab, versteckst deinen neuen Trainingsanzug, auf den du stolz bist, in der Sporttasche und schwingst dich in schlabbrig graue Baumwolle. Warte ja nicht, bis er dich begrüßt hat. Du hättest das Spiel schon halb verloren. Gehe direkt auf ihn zu, senke den Kopf leicht, nicht zu unterwürfig, und entbiete ihm deinen Gruß und lobe die unnachahmliche Art, mit der er seine Schuhe schnürt.

Du machst ihm mehrere aufeinanderfolgende Komplimente wegen seines guten Aussehens und erwähnst beiläufig, dass du diese hageren austrainierten Typen nicht leiden kannst und dass er, als er letztlich eine neue Bestzeit lief, doch eher leidend als Athletisch ausgesehen habe. Wenn er etwas irritiert schaut und versichert, dass er wie immer 62 kg wiege, erzählst du ihm die Geschichte von den japanischen Waagen, die im Alter immer schlapper werden und somit auch immer weniger Gewicht anzeigen. Das Ganze belegst du mit einem hochtheoretischen Vortrag über Federermüdung. Dann wischt du ein imaginäres Stäubchen von seiner Schulter und erwähnst, wie toll du es fandest, dass er beim letzten 5.000-m-Rennen nur 1.600 m hinter Dieter Dopmann geblieben ist.

Mit todtrauriger Miene erzählst du, dass deine jüngste Tochter in totale Depression verfallen ist, nur noch apathisch vor dem Fernseher hängt, weil der Vater in letzter Zeit keine vernünftigen Laufergebnisse mehr ins Haus gebracht hat. Du murmelst etwas von dem Riesenbetrag, den ihr schon für Arztkosten ausgegeben habt, obwohl keiner helfen konnte. Dr. Knüller-Sozialhilfe und Dr. Dressingklage haben beide einstimmig erklärt, dass es bald zu Ende geht mit ihr, wenn der Erzeuger nicht bald die Schwelle als Sieger überschreitet. Du nimmst dankbar, mit leicht feuchten Augen seinen mitfühlenden Händedruck entgegen. Später ergreifst du seine Sporttasche und begibst dich mit ihm in Richtung der Umkleidekabinen. Dort angekommen, hilfst du ihm erst einmal aus den Schuhen und bietest ihm den ersten Schluck aus deiner Mineralwasserflasche an. Wenn Holger Meier nachfolgend dies widerlich müffelnde Einreibemittel auspackt, welches allen Umkleidekabinen dieser Erde den gleichen Gestank verleiht, dann springst du sofort hinzu und reibst ihm den schmerzenden Oberschenkel ein. Dort findest du dann mit gerunzelter Stirn eine Vertiefung, die du im Brustton der Überzeugung und unter Zuhilfenahme einiger medizinischer Fachausdrücke als beginnenden Muskelriss erkennst. Du führst seine Hand zu der entsprechenden Stelle, wo er natürlich sofort eine Unregelmäßigkeit und leichten Druckschmerz feststellt. 

Dem Nachbarn, der sich neben euch umzieht, erzählst du mit ungedämpfter Stimme, dass sich beim bekannten Altersklassenläufer Eddi Schwabenblitz die gleichen Symptome gezeigt haben, dieser aber alle Warnungen in den Wind geschlagen und sich im Wettkampf so übernommen habe, dass er jetzt schon drei Monate nicht mehr trainieren kann. Auf die Frage von Gegner Nummer eins, was denn zu tun sei, antwortest du, dass selbst Professor Stümper hier der Meinung sei, dass man mit solch einer Verletzung zwar laufen kann, eine harte Belastung aber langfristig sportlicher Selbstmord ist. Dabei machst du dann ein sehr, sehr besorgtes Gesicht.

Wenn du dann die entscheidende Muskulatur richtig gesalbt hast, drückst du mit Daumen und Zeigefinger noch einmal kräftig die Achillessehne seines linken Fußes. Den fälligen Aufschrei begleitest du mit einem Tss-tss-tss. Du tröstest Holger mit den Worten, dass ja alles gut gehen werde und dass du ihm im Rennen hilfreich zur Seite stehen wirst und sofort da bist, wenn er dann wirklich zusammenbräche. Nach diesen Worten drückst du ihm, wenn du dich überwinden kannst, einen dicken Schmatzer auf seine mit einem blauen blutunterlaufenen Nagel versehene Großzehenspitze und streifst ihm die stark vergrauten Socken über.

Am Start stehst du dann in der ersten Reihe, machst aber sofort Platz, damit er die beste Position einnehmen kann. Mit dem Startschuss erzählst du ihm, der nur ein Werbe-T-Shirt eines bekannten Laufshops trägt, dass du eben erfahren hast, dass alle Teilnehmer, die nicht im Vereinstrikot starten, disqualifiziert werden. Damit lässt du ihn sofort alleine. 

Dein Werk ist nun vollendet. Lockeren Schrittes mit dem überlegenden Ausdruck des Siegers machst du dich auf die Strecke. Deinen Konkurrenten kannst du getrost vergessen, zu gründlich war deine zerstörerische Vorarbeit.

"Ich denke, du hast verstanden, auf was es ankommt. Aber pass auf, Holger Meier beherrscht die Kunst, andere zu verunsichern, ebenso Meisterhaft. Was ich dir damit nur sagen wollte ist, dass so mancher verletzender Spruch deiner "Laufkumpel" nicht unbedingt unbedacht vorgetragen wird, sondern mit voller Absicht den Stachel der Verunsicherung in dich rammen soll. Wenn dich also jemand ständig unangenehm angeht, drehe den Spieß um und zeige diesem Holger, was psychologische Demobilisierung bedeutet!"

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Peter Greif

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